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Artikel
vom 17. November 2010, Anzeiger
aus dem Bezirk Affoltern
Kantonsräte meinen.. von Lisette Müller-Jaag, Knonau
Schweiz in den Top Ten
Oder: was unsere Nati von den Politikerinnen trennt
In Zahlen ausgedrückt, sind es 13 Plätze. Doch die Weltrangliste der FIFA hat mit der Anzahl von Frauen in politischen Spitzenämtern kaum mehr zu tun als der Schwingerkönig mit Prinz Charles. Erfreulich ist es trotzdem, dass die Schweiz in der internationalen „Frauenpower-Statistik“ vom 40. auf den 10. Platz vorgerückt ist. Und das obwohl die Schweizer Frauen bekanntlich erst spät zum Start zugelassen wurden.
Was für einige schon fast selbstverständlich ist, weckt bei anderen bereits Ängste: Vier von sieben Bundesratsmitgliedern sind Frauen, National-, Stände- und Bundesrat werden von Frauen präsidiert und ein Frau vertritt unser Land im Ausland. Doch wenn wir genauer hinschauen, was sich auf der politischen Bühne tut, sieht die Statistik wieder anders aus: Höchstens ein Drittel aller Gewählten sind Frauen, ob auf Gemeinde-, Kantons- oder Bundesebene.
Solche Zahlspielereien standen nicht im Zentrum für die fröhliche Schar politisch interessierter Frauen, die am vorletzten Samstag zur überparteilichen Frauentagung in die Universität Zürich kamen. Mit Schwung, Sprutz und hoher Motivation wollten sich die Teilnehmerinnen an dieser Tagung neue Impulse holen und sich weiterbilden. Amtierende und in den Startlöchern stehende Politikerinnen tauschten sich in 18 verschiedenen Workshops über die verschiedensten Themen aus. Sie dachten über Ethik in der Politik und Wirtschaft nach, füllten den abstrakten Begriff der Nachhaltigkeit mit Inhalt, oder übten den Auftritt vor einer Kamera. Wie sehr der Umgang mit den Medien interessiert, zeigte die rege Teilnahme an den praktischen Schreib-, Sprech- und Rhetoriktrainings. oder am Fachreferat für Internetkampagnen. „Bring’s auf den Punkt“ lautete der Titel eines Workshops. Und diese Empfehlung gehört wohl zum wichtigsten Proviant, den jemand auf seine politische Reise mitnimmt.
Trainieren
Eine Fussballexpertin bin ich zwar nicht, habe aber dank meinen Söhnen Einblick in den Spitzensport. Ob Orientierungslauf, Skifahren oder Politik – ohne Training kann sich auch ein Talent nicht entfalten. Daher war es im Rückblick gesehen nur logisch, dass ich vor fünf Jahren ein Konzept entwickelte, das politisch interessierte Frauen weiterbringt. Eine Berufskollegin und die Zürcher Frauenzentrale liessen sich für mein Vorhaben gewinnen und wurden zu wichtigen Partnerinnen. Wir machten uns an die konkrete Umsetzung und organisierten im Herbst 2006 die erste Frauentagung und diesmal bereits die dritte. Ziel war wiederum, interessierte Frauen mit auf den Weg zu nehmen, damit auch in Zukunft genügend Frauen für Behördenämter und Politik zur Verfügung stehen.
Werden ständige Trainingseinheiten beim Sport von niemandem in Frage gestellt, ist das in der Kunst der Politik offenbar anders. Denn oft höre ich, Frauentagungen seien doch heute nicht mehr notwendig. Die Rückmeldungen der Teilnehmerinnen und Referentinnen widersprechen dieser Ansicht jedoch klar. Eine solche Tagung motiviert zu vertiefter Auseinandersetzung mit Politik und gesellschaftlichen Themen. Sie erleichtert die eigene Meinungsbildung, schafft Kontakte und bietet die Möglichkeit, von den Erfahrungen anderer Politikerinnen zu profitieren. Das Training ermutigt, stärkt und motiviert.
Schnuppertage können gluschtig machen
Erfahrungen sind noch immer die besten Lehrmeister. Daher ändern oder bestätigen Schnuppertage auch oft die Berufswünsche von Jugendlichen. Unser „Schnuppertag Politik“ ist also nicht nur ein willkommenes Training für aktive Politikerinnen, sondern soll auch einen ersten Einblick in diese Arbeit geben. Das ist auch deshalb notwendig, weil der Frauenanteil in politischen Ämtern bereits wieder zurückgeht, bei den Zürcher Kommunalwahlen im Frühling zum Beispiel um 10 Prozent. Doch wir brauchen Frauen, die bereit sind, sich öffentlich zu engagieren, die es sich zutrauen und den Mut haben, sich zur Wahl zu stellen. Und es braucht nebst Übungsmöglichkeiten und Auseinandersetzung auch Vorbilder. Daher war es ein krönender Abschluss unserer Tagung, als die Nationalratspräsidentin Pascale Bruderer Wyss und die Ständeratspräsidentin Erika Forster erschienen. Lebensnah, heiter und sehr ermutigend berichteten sie aus ihrer vielseitigen Tätigkeit. Der Weg von Frauen in die höchsten politischen Ämter ist spannend.
Schnuppern heisst auch, sich mit der in der Verfassung verankerten Gleichstellung zu beschäftigen. Es besteht ein gesetzlicher Auftrag, diese umzusetzen. Auch wenn wir in die Top Ten vorgestossen sind. Doch diese Rangliste kümmert eine schweizerische Fabrikangestellte wenig, wenn sie nach 25 Jahren noch immer 30% weniger verdient als ihr männlicher Kollege. Und warum müssen Frauen höhere Krankenkassenprämien bezahlen als die Männer? Etwa wegen der Kosten für das Gebären von Kindern? Mit dieser Logik müssten den Männern auch höhere Unfallversicherungsprämien in Rechnung gestellt werden. Denn immerhin beanspruchen sie diese Versicherung etwa dreimal mehr als die Frauen. Gleiche Löhne, gleiche Rechte und gleiche Pflichten. Darum geht es.
Schnuppern, was Fairness bedeutet und wie sich statistische Zahlen deuten lassen. Erfahren, dass gemeinsames Vorgehen stark macht und geteilte Freude doppelte Freude ist. Daher finde ich es auch schön, dass der Gleichstellungspreis der Stadt Zürich dieses Jahr an das „Mannebüro“ ging. Aus dem Interview im Tages Anzeiger geht hervor, dass die Fachstelle für Gleichstellung seit Jahren auch Männeranliegen thematisiert und unterstützt. Gleichstellung betrifft uns alle – und sie muss gegenseitig sein. Eine Voraussetzung für berufliche wie politische Tätigkeit ist die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Die jungen Paare sollen frei wählen können, wie sie die Berufsarbeit und die Familienarbeit untereinander aufteilen wollen. Für keine der beiden sollen daraus Nachteile erwachsen - weder karrieremässig, noch finanziell. Da ist die Politik gefordert, und da braucht es eben auch Frauen.
Lisette Müller-Jaag, Kantonsrätin EVP
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